"Wenn
ich fernsehe, dann ohne Ton.
So sieht man die Bewegungen, die Gewohnheiten der Sprecherinnen, man sieht eine
Frau, die ihre Beine nicht zeigt, ihre Lippen bewegt, immer dasselbe tut und
von Zeit zu Zeit durch sogenannte Bilder aus aller Welt unterbrochen wird."
[Jean-Luc Godard]
Nachrichten werden immer mehr, sie werden zu immer mehr Unterhaltung und enthalten immer weniger Inhalt. Sie werden immer schneller verbreitet und gleichzeitig immer schneller vergessen. Um überhaupt wahrgenommen zu werden, werden sie von den Medienunternehmen immer kürzer und leichter serviert: der Mord des Nachbarn als Unterhaltung im TV-Apparat des eigenen Wohnzimmers. Keine der einzelnen Nachrichten soll herausragen, keine soll wirklich bewegen. Nicht mehr die einzelnen Inhalte sind also wichtig, sondern die News als ganzes. Aus der unscharfen Sicht leicht zusammengekniffener Augen bleibt nur noch ein Rauschen der Nachrichten übrig: Die Nachrichten als unterhaltendes Rauschen.
Information und Unterhaltung verschmelzen fast vollständig: bald wird man nicht mehr unterscheiden können, ob das am Bildschirm Gezeigte echt oder Simulation ist, ob das Blut auf dem Menschen aus der Dose oder seinen Adern stammt. Reality-Shows boomen. Die zukünftigen News werden nicht nur auf Grossleinwand, sondern auch mit Surround-Ton und vor allem in Echtzeit zu verfolgen sein.
In Newslounge werden Nachrichten vollständig zerlegt, neu zusammengesetzt und für eine ästhetische Wahrnehmung aufbereitet.
Computerdatei-Daten der Nachrichten werden mit dem Quellcode der Computer-programme vermischt und daraus – unter Verwendung von Regeln der musikalischen algorithmischen Komposition – Klänge und sich bewegende Bilder erzeugt.
Das so entstehende audio-visuelle Ergebnis wird in einen Raum abgespielt bzw. projeziert, der wiederum den Unterhaltungswert betont: eine Lounge, die zum bequemen Konsumieren des seichten Nachrichtenrauschens einlädt.
Newslounge besteht aus einem Raum, in dem transformierte News-Daten visuell und auditiv dargestellt werden.
Daten aus einem Internet-Newsfeed werden als Steuerdaten benutzt, um vorgefertigte Sound- und Bilddaten anzusteuern und diese zu verändern: zu beschleunigen bzw. zu vergrössern und zu verlangsamen resp. verkleinern, im Raum bzw. auf der Fläche zu drehen und zu verschieben, zu stauchen oder auseinander zu ziehen. Die vorgefertigten Sound- und Bilddaten wurden aus dem Sourcecode derjenigen Applikationen generiert, mittels denen normalerweise die News-Daten dargestellt werden.
Die News-Daten sind dabei in keiner Weise mehr erkennbar, da sie in Newslounge als reine Steuerinformationen für die Bild- und Tonveränderung Verwendung finden und nicht dargestellt werden. Die Abbildungen und Töne stammen von den Bild- und Tondaten der jeweils zugehörigen Applikationen. Die Ausschnitte aus den Bild- und Tondaten, die man sehen bzw. hören kann, werden durch die News-Daten bestimmt.
Die Bild- und Tondaten der Applikationen wurden vorgängig aus dem Sourcecode der Applikationen hergestellt (siehe Datendekonstruktion) und zwar von je zwei Webbrowsern und Texteditoren, einem Bildbetrachtungsprogramm, einem Audioplayer, einem Videoplayer und einem Email-Programm. Dies sind die Programme, die für das Anzeigen von News-Daten, die im Internet vorkommen, verwendet werden.
Wird beispielsweise eine News-Datei im HTML-Format zum 'Abspielen' gebracht, wird das entsprechende Ton- und Bildfile, das aus dem Quellcode eines Webbrowsers entstand, geladen und die HTML-Datei als Steuerdatei verwendet. Die Steuerdatei bestimmt, welche Ausschnitte des Ton- und Bildfiles abgespielt werden sollen und auf welche Weise. Ist im Gegensatz dazu eine Grafik eine News-Datei (= Steuerdatei), werden analog das Ton- und Bildfile, die aus dem Quellcode der Bildbetrachtungssoftware entstanden sind, geladen usw.
Der dabei entstehende Ton ist knackend, die zu sehenden Bilder sind pixelig. und nahe an einer Ästhetik des Bild- bzw. Tonrauschens. Die Parallele zum 'Nachrichtenrauschen', dem Rauschen, aus dem einzelne Nachrichten nicht mehr herausragen, ist bewusst gewählt.
Durch die Gestaltung des Raumes als Lounge wird auf den unterhaltenden, entspannenden Charakter der News angespielt. Die News werden durch algorithmische Kompositionstechniken, wie sie in der elektronischen E-Musik Verwendung finden, transformiert. Dadurch werden die News auch wirklich als Unterhaltung aufbereitet – auf einer anderen Ebene als gemeinhin erwartet.
Die Newsdaten werden vollständig auf der Codeebene verwendet und mit Softwarecode vermischt, um von ihrer inhaltlichen Aussage getrennt zu werden. Um dies zu erreichen, werden zwei verschidene Arten verwendet, Datencode anders als normalerweise dar zu stellen:
Software wird im Produktionsprozess als Text nach bestimmten Regeln geschrieben, als Quellcode. Dieser Text ist für Menschen (mit Programmier-kenntnissen) verständlich, für Computer jedoch nicht. Um den Quellcode für Maschinen verständlich zu machen wird er in Maschinensprache übersetzt d.h. kompiliert. Danach ist er für Computer verständlich, aber nicht mehr für Menschen.
Für Newslounge wurde der Quellcode von ausgewählten Applikationen ebenfalls kompiliert, jedoch nicht in Maschinensprache, sondern in Bilder und Töne. Der Quellcode wird nach dieser Übersetzung für den Menschen wieder lesbar und stellt das Programm selbst dar. Auf diese Weise wird die Software, die sonst Inhalt darstellt, selbst Teil des dargestellten Inhalts.
Die Bilder und Töne der Applikationen, werden durch die einkommenden News-Dateien verändert. Im normalen Darstellungsprozess verändern Dateien, die für den Menschen sichtbare Oberfläche von Applikationen, indem sie aus dem Dateiformat der Dateien, Bilder oder Texte darstellen.
Die News-Dateien werden ebenfalls auf der Code-Ebene verwendet: Der nur zum Teil für Menschen lesbare Quellcode dieser Dateien (zum Teil in Binärformat bei Ton- und Bilddaten, zum Teil durch Programmanweisungen ergänzter Text bei HTML-, XML-Dateien etc.) wird als Steuerinformation verwendet, um die oben erwähnten Software-Repräsentation (Bild und Ton, die vorgängig aus der Software "kompiliert" wurden) zu verändern.
Zusammengefasst heisst das: Digitale Bilder, Texte und Töne, die normalerweise durch Software dargestellt werden, verändern in Newslounge die als Bild und Ton dargestellte Software.
Diese Darstellungsweise entzieht dem Dargestellten vollständig den ursprünglichen Inhalt. Das einzige, das noch sichtbar bleibt, ist die Form der Darstellung. Eine Meldung folgt der nächsten – gewissermassen das Rauschen der News.
Newslounge bezieht sich auf die Flut der Nachrichten, aus der keine einzelne mehr hervorsticht und alle ineinander verschwimmen; der Moment, bei dem der Inhalt der einzelnen Nachricht vollständig verlorengeht und ein neuer Inhalt entsteht, nämlich der Inhalt des Rauschens.
Die Bilder und Töne, die aus den Applikationen gewonnen werden, sind sehr pixelig bzw. von einigen Knackgeräuschen abgesehen, stark mit Rauschen durchzogen. Dieses Bild- und Tonrauschen wird durch das Newsrauschen verändert, es wird quasi mit dem Newsrauschen multipliziert.
Als Beispiel ein Bild aus dem Quellcode von 'Balsa', einem Mailreader:
Rauschen wird aber nur als nicht störend wahrgenommen, wenn man sich freiwillig darauf einlassen kann und nicht davon überflutet wird. Deshalb werden in Newslounge bequeme Sitzgelegenheiten angeboten. Besuchende sollen dazu eingeladen werden, sich freiwillig und bequem dem Rauschen der News auszusetzen.
In Newslounge wird die sinnliche Rezeption von News-Rauschen ermöglicht. Mittels verschiedener Plug-Ins für verschiedene Dateiformate – aus dem Quellcode herkömmlicher Darstellungssoftware generierten Bild- und Tondateien – werden News-Daten in Ton und Bild transformiert.
News werden von Journalisten auf der ganzen Welt zusammengetragen und an die Nachrichtenagentur-Zentrale übermittelt. Dort werden sie aufbereitet und als Newsdaten ins Internet eingespiesen. Diese Daten werden vom Newscomputer 'Oskar05' empfangen und an den Transformationscomputer 'mume' weitergegeben. In 'mume' werden die Daten tranformiert. Die durch die Transformation erhaltenen Audio und Video-Daten werden vom Lautsprecher-System bzw. dem Videoprojektor abgespielt.
2004-07-11/fö